Zur Hälfte Ärztin, zur Hälfte Forscherin, zu 100 Prozent Vorbild

Akademie-Stipendiatin Jun.-Prof. Dr. Carolin Victoria Schneider wurde am 25. März in Berlin als Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2023 ausgezeichnet. Ein Porträt über eine junge Medizinerin, die Forschung auf höchstem Niveau betreibt und dabei immer nah an ihren Patientinnen und Patienten bleibt.

Porträt Carolin Victoria Schneider
Porträt Carolin Victoria Schneider
Porträt Carolin Victoria Schneider

Fotos: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste / Engel-Albustin 2022

Wer kennt sie nicht, die berühmte 10.000-Schritte-Formel? Wer jeden Tag 10.000 Schritte läuft, bleibt fit und gesund. So lautet das Versprechen, das aber, und das wissen nur die wenigsten, auf keinen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Laut Dr. Carolin Victoria Schneider, Juniorprofessorin und Ärztin an der RWTH Aachen, braucht es hierfür auch gar nicht 10.000 Schritte. 7500 reichen aus, zumindest wenn es um die Prävention von Lebererkrankungen geht.

„Es gibt kein Medikament gegen Fettlebererkrankungen. Die Betroffenen können nur ihren Lebensstil ändern“, betont die Medizinerin, die sich aus diesem Grund mit ihrer Arbeitsgruppe die Daten von 200.000 Patientinnen und Patienten angeschaut hat, die für eine Woche eine Fitnessuhr getragen haben. „Vier Jahre nach der Datenerhebung haben wir geguckt, welche Patientinnen und Patienten eine Lebererkrankung entwickelt haben und welche nicht“, erklärt die 28-Jährige, die Mitglied im Jungen Kolleg der Akademie ist. Ziel der Studie sei es gewesen, herauszufinden, was die minimale Anzahl an Schritten ist, die man täglich laufen muss, um möglichst gut vor einer Lebererkrankung geschützt zu sein.

Patientinnen und Patienten brauchen konkrete Vorschläge

Natürlich gleichen die auf diese Weise ermittelten 7500 Schritte keine anderen Risikofaktoren wie exzessiven Alkoholkonsum aus. Aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung und genau darum geht es Carolin Schneider bei ihrer Arbeit als Clinician Scientist. „Das gute an meinem Job, zur Hälfte Ärztin, zur Hälfte Wissenschaftlerin, ist, dass ich in der Sprechstunde direkt mit den Patientinnen und Patienten in Kontakt komme“, sagt sie. Dieser Austausch habe ihr gezeigt, dass es den Betroffenen nicht helfe, wenn sie von heute auf morgen ihr ganzes Leben umkrempeln, sich mehr bewegen, gesünder essen und keinen Alkohol mehr trinken sollen. Laut Carolin Schneider sind solche Behandlungsansätze zum Scheitern verurteilt. Stattdessen bräuchten die Patientinnen und Patienten spezifische Vorschläge. „Wir empfehlen den Betroffenen zum Beispiel, dass sie jeden Mittag 45 Minuten spazieren gehen oder mehr Brokkoli essen“, erklärt die Ärztin.

Um herauszufinden, welche konkreten Ratschläge in Bezug auf die Prävention und Behandlung von Lebererkrankungen am effektivsten sind, wertet Carolin Schneider mit ihrer Arbeitsgruppe große Datensets aus. Dabei handelt es sich um anonymisierte Patientendaten, die Aufschluss über unterschiedliche Faktoren vom Essverhalten über die Genetik bis hin zu Umwelteinflüssen geben. Angesichts der riesigen Datenmengen kommt die Wissenschaftlerin hier mit Excel und Co. aber nicht weit. „Am Ende meiner Doktorarbeit habe ich angefangen, mit Hilfe von Online-Kursen verschiedene Informatik-Tools und Programmiersprache zu lernen“, erzählt die Juniorprofessorin, die für ihre Forschung inzwischen auch Methoden der Künstlichen Intelligenz nutzt.

Sie will mehr junge Frauen für die klinische Forschung gewinnen

Der Werdegang von Carolin Schneider ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Mit gerade mal 28 Jahren hat sie bereits im Ausland geforscht. Sie leitet ihre eigene Arbeitsgruppe und ist gleichzeitig auf dem Weg zur Fachärztin für Innere Medizin. Das ist keine Standard-, sondern eine Ausnahmebiografie, nicht nur, aber besonders für eine Frau. Denn auch wenn zu Beginn des Medizinstudiums der Frauenanteil hoch ist, trifft das weder auf die höheren Positionen in den Kliniken noch in der medizinischen Forschung zu. Carolin Schneider spricht von der sogenannten „Leaky-Pipeline“. Mit jeder höheren Karrierestufe nimmt der Anteil an Frauen ab. Woran das liegt, ist kein Geheimnis und gerade in ihrem Fachbereich, der klinischen Forschung, ist der Spagat zwischen Beruf und Familie laut der Juniorprofessorin besonders schwer: „Hier gibt es ohnehin schon die Doppelbelastung aus Klinik und Forschung. Wenn dann noch die Familie dazu kommt, ist das ein Dreiecksspagat.“

Die 28-Jährige will nichts beschönigen. Sie spricht offen über das hohe Arbeitspensum, über Nachtdienste und Konferenzen an Wochenenden. Trotzdem will sie anderen jungen Frauen Mut machen, den gleichen Weg einzuschlagen. Als Mentorin begleitet sie Medizinstudentinnen. Als Chefin will sie es besser machen. „Ich habe in meiner Arbeitsgruppe einige Mitarbeitende mit Kindern. Das ist absolut kein Problem. Ich biete flexible Teilzeitmodelle und Homeoffice an.“ Auch wenn die Arbeitsbedingungen für Clinician Scientists längst nicht überall so gut sind und hier noch viel Nachholbedarf besteht, gibt es laut Carolin Schneider einen guten Grund, diesen Beruf trotzdem zu ergreifen: „Meine Forschung kann wirklich etwas im Leben meiner Patientinnen und Patienten verändern. Das treibt mich an.“

 

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Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2023
Das Online-Karriereportal „academics“ ehrt mit seinem Nachwuchspreis jährlich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die durch herausragendes Engagement Wissenschaft und Forschung nachhaltig positiv beeinflussen. Der mit 5000 Euro dotierte und mit Unterstützung des ZEIT Verlags verliehene Wissenschaftspreis hat sich zu einer renommierten und begehrten Auszeichnung etabliert. Die offizielle Verleihung findet im Rahmen der „Gala der Deutschen Wissenschaft“ des Deutschen Hochschulverbandes in Berlin statt.